„Für mich ist Rembrandt Religion.“
Egon Zehnder (EZ) im Interview mit Xenia Hausner(XH)
EZ: Im kommenden Jahr wird in einer großen Ausstellung in der Albertina in Wien Ihr Werk gezeigt. Was bedeutet es für Sie, auf Ihre Arbeit von fast drei Jahrzehnte zu blicken?
XH: Das heißt vor allem kritische Überprüfung – was hält Stand, was habe ich früher nicht verstanden, oder naiv sogar besser hingekriegt. Unverwechselbarkeit und Weiterentwicklung sind keine Widersprüche, sie sind zwei wesentliche Faktoren, die für ein längeres Künstlerleben notwendig sind.
EZ: Was war in Ihrem Werk von Anfang an da, was hat sich verändert?
XH: Der Mensch war von Anfang an mein Thema. Für mich gibt es nichts Interessanteres als ihn zu erforschen. Irgendwann habe ich dann nicht nur versucht Menschen zu erkennen, sondern habe sie wie Schauspieler in einem Stück besetzt. Das klassische Porträt beschreibt den Menschen in seinem eigenen biografischen Umfeld. Bei mir agieren sie wie Protagonisten in einem fremden Stoff. Bei Schiller heißt „Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, wird die Wahrheit nie erobern.“ Soll heißen über die Erfindung und über die Fiktion lernen wir die Welt besser zu verstehen. Darum geht’s in der Kunst.
EZ: Sie suchen also über eine Fiktion nach der Wahrheit?
XH: Das wird jetzt schon sehr theoretisch… in erster Linie versuche ich ein Bild zu malen – das ist ein schlichter Vorgang. Aber vielleicht sollte ich sagen, meine Bilder haben keine eindeutige Botschaft, es sind Fragmente. Es ist nicht mein Ziel, eindeutige Lösungen zu präsentieren – das Leben ist nicht schwarzweiß. Die Situationen auf den Bildern sind ambivalent, aber der Betrachter kann die Bilder trotzdem lesen, weil er davon betroffen ist, er liest das Bild mit seinem eigenen Lebensfundus. Kunst soll in Bewegung setzen und zum Nachdenken bringen.
EZ: Eine Bewegung, deren Richtung ungewiss ist?
XH: Das ist ja gerade das Spannende! Ich will gar nicht, dass am Beginn schon alles feststeht. Ich beginnt ein Bild mit einer Grundidee, aber das Bild hat eine eigene Persönlichkeit und behauptet sich gegen mich. Es nimmt oft eine überraschende Wendung, die mich zum Nachdenken bringt. Dann muss ich dem nachgeben und den untersten Baustein wieder rausziehen.
EZ: Wie beginnt eine solche Reise? Wie finden Sie ein neues Bild?
XH: Der Stoff ist in mir angelegt, das ist das Wesentliche. Aber es gibt auch eine andere Ebene – eine Wahrnehmung der Welt und dessen was rund um uns passiert. Die schiebt sich dann in seltsamer Weise vor den inneren Stoff. Tägliche Übung und beständiges Wachsein – eine Routine der Aufmerksamkeit sozusagen. Und eine Bereitschaft zu Irrationalem.
EZ: Das scheint sehr intensiver in der Auseinandersetzung. Sie malen dann nur an einem einzigen Bild, bis es fertig ist?
XH: Im Gegenteil immer an Mehreren. Es ist auch heilsam, ein Bild wegzustellen und es sacken zu lassen. Ein großes Bild ist wie ein dicker Roman, den schreibt man selten in einem Rutsch. Man braucht ein paar Kurzgeschichten dazwischen.
EZ: Warum ist der Mensch bei Ihnen primär in Form der Frau repräsentiert?
XH: Zweitausend Jahre Patriarchat haben uns in das Elend der aktuellen gesellschaftlichen Krisen geführt. Versuchen wir es jetzt einmal mit weiblicher Intuition – und weiblicher Vernunft! Rettung ist nicht gesichert, aber als Möglichkeit zumindest vorstellbar. Und außerdem sind Frauen schöner und kunstfähiger!
EZ: Welche Rolle spielt für Sie der Kunstmarkt?
XH: Eine große inzwischen. Der Markt ist unersättlich und schreit immer nach neuen Sensationen. Mit der Digitalisierung ist ein globales Spiel entstanden, dem sich keiner entziehen kann. Aber das was im Atelier passiert, kann nicht mit dauerndem Schielen auf den Markt vollzogen werden. Natürlich versteht man welches Bild für eine Messe besser geeignet ist als ein anderes – 60 Prozent der Umsätze am Kunstmarkt werden allein auf Messen generiert. Aber im eigentlichen Erfindungsprozess muss man sich trotzdem die Unabhängigkeit bewahren. Ja und Kunst ist auch ein Investment – vor allem wenn man einen Instinkt hat und was davon versteht. Da ist Billy Wilder ein wunderbares Beispiel, er hat eine ganz großartige Sammlung in seinem langen Leben zusammengetragen, nur nach dem Lust-Prinzip gesammelt. Am Ende hat er seine Sammlung versteigert – mehr Verzinsung hätte Warren Buffett auch nicht erreicht.
EZ: Welcher Maler berührt Sie besonders?
XH: Da gibt es einige! Zum Beispiel Rothko und Twombly im 20. Jahrhundert und bei den alten Meistern den Licht Dramatiker Caravaggio und vor allem Rembrandt. Rembrandt, diese gebrochene Figur, hatte ein Weltverständnis, das mich besonders berührt. Er zeigt Männer, Frauen, das Leben ganz unmittelbar und modern. Da meine ich nicht nur seine Technik, stellenweise so offenen und skizzenhaft und dann diese pastosen Glanzlichter… verrückt. Da meine ich seine gebrochene Weltsicht, in die er selbst so zeitgenössisch modern einfließt mit der Beschichtung seines Innenlebens. Noch fast vierhundert Jahre später bringt er mich zum Weinen.
EZ: Heute werden Künstler verfemt, wenn sie politisch oder moralisch versagt haben. Caravaggio hätte es schwer in unseren politisch korrekten Zeiten.
XH: Rembrandt sicher auch! Political Correctness ist notwendig, aber das globale Künstler-Bashing, das jetzt für politisch korrekt gehalten wird, ist unerträglich und zeigt einen gefährlichen populistischen Zug. Das Abhängen von Bildern wegen moralischer Verfehlungen der Künstler hat gruppendynamisch hysterische Züge angenommen. Leben und Werk muss man auseinanderhalten. Ich gehe immer noch in jeden Film von Woody Allen, und ein affektgeladener getriebener Caravaggio kann den Stellenwert seines Werks für mich nicht beeinträchtigen. In meiner Kindheit gab es diesen Spruch „großer Künstler schlechter Mensch“. Das würde man sich heute nicht mehr trauen zu sagen! Merkwürdig ist übrigens, dass Picasso bisher verschont geblieben ist, der war ein Macho und nicht zimperlich mit den Frauen. Aber da gibt es offenkundig eine Aura, ein Zurückschrecken vor dieser besonderen Ikone. Daran kann man den ganzen unoriginellen Konformismus dieser Debatte ablesen.
EZ: Manche Ihrer Bilder scheinen auch politisch gemeint zu sein, etwa wenn Sie Flüchtlinge malen.
XH: Ja, Sie meinen die „Exiles“ Bilder mit den Heimatlosen, oder auch die „Cage People“ mit den Wanderarbeitern in Asien, und noch so einige… Aber es ist Unsinn zu glauben, nur die geballte Faust ist politisch. Wenn die Qualität stimmt ist so etwas geheimnisvolles und unangepasstes, irrationales wie Kunst schon durch ihre schiere Existenz politisch und gesellschaftlich relevant. Und Menschen, die sich mit Kunst beschäftigen, sind, glaube ich, die reflektierteren und hoffentlich auch verantwortungsvolleren Bürger. Wer sich von einem Bild oder ein Stück Literatur in Bewegung bringen lässt, der setzt sich mit den Dingen auseinander und sieht die Welt differenzierter. Auch wenn dieses Bild nur einen Apfel zeigt.
EZ: Hat das Malen für Sie auch eine spirituelle Dimension?
XH: Kunst im Allgemeinen hat eine spirituelle Dimension. Nehmen Sie Rothko – er hat seine verschwimmende Bilder für ein kappelenartiges Halbdunkel konzipiert, etwas metaphysisch sakraleres als Rothko gibt’s gar nicht. Jedes Bild ein Altar, der die ganze Welt enthält. Rembrandt – was anderes ist er als spirituell? Da ist immer die metaphysische Komponente, dieses Magma, das in jedem Künstler steckt und sich im Bild wiederfindet. Für mich ist Rembrandt Religion. Ich stelle ihn mir unter den Weihnachtsbaum. Ich gehe zu Rembrandt beten.
EZ: Die andern gehen zur Christmette und Sie …
XH: … ich gehe auch in die Kirche, zur C-Moll Messe, in die Sixtinische Kapelle, nach Colmar zum Isenheimer Altar. Und zu Notre Dame. Man muss verstehen warum es bei dem Brand der Kathedrale eine weltweite Erschütterung gab – nicht weil ein wunderbares Architektur Denkmal zerstört wurde und auch nicht weil ein katholisches Sinnbild verbrannt ist. Es wurde ein Herzstück der abendländischen europäischen Identität zerstört und in dieser ist die christliche Religion und Kulturgeschichte enthalten. Religion hat trotz aller Verbrechen der Weltkirchen eine menschenbildende Kraft, so wie auch Kunst, Philosophie, Geschichte. Und darauf kommt es letztlich an: auf die Menschwerdung.