XENIA HAUSNER
TRUE LIES
Hirmer Publisher, 2020
240 pages, 120 colour illustrations
29.5 × 29.5 cm, hardcover
ISBN: 978-3-7774-3538-1 English
ISBN: 978-3-7774-3529-9 Deutsch
Ed. Klaus Albrecht Schröder, Elsy Lahner
Contributions by P. Blom, J. Crispin, S. Eiblmayr, M. Gaponenko, L. Gascoigne, A. Heller, E. Jelinek, D. Kehlmann, E. Lahner, T. Macho, E. Menasse, Ch. Ransmayr, L. Rideal, K. Sykora, B. Zemann
Eva Menasse
Diese enorme Energie, diese Lust an einem unmittelbar bevorstehenden, aber nie sichtbaren Platzen ist das Herrliche an Xenia Hausners Malerei. Jeder bemerkt es, aber man kann es sich nicht erklären. Der große Germanist Peter von Matt hat über Gedichte einmal geschrieben, sie seien stehende Blitze: weil sie als sprachliche und emotionale Kondensate die gebündelte Kraft des Blitzes sozusagen auf Dauer stellen müssen. Sind Xenia Hausners Bilder analog dazu stehende Farb- und Gefühlsexplosionen? Also weniger im linearen Pfeil-, sondern im dreidimensionalen Blasenmodus, falls mir noch jemand folgen kann? Ich glaube ja. Und das lässt sich, wie in der Mathematik, mittels Gegenprobe beweisen.
Die Xenia-Hausner-Welt ist voll von Frauen mit herausfordernden Blicken. Wenn jemand nach weiblichem Selbstbewusstsein gesucht hat – hier konnte er fündig werden. Wie gesagt, die Blicke dieser Frauen stechen geradezu aus den Bildern heraus. Ich finde keine Worte, die diese Blicke zur Gänze beschreiben: Denn weder Trotz noch Herablassung, weder Koketterie noch Kälte oder Kampfansage treffen es ganz. Es sind immer Mischungen davon, am besten ist das nach allen Seiten offene englische Wort challenge. Wie heftig nun der Effekt, wenn dieses Verfahren geändert wird, wenn, wie auf den Arbeiten Blind Date und Am Rand die Blicke begrenzt oder versteckt werden!
Daniel Kehlmann
Wie also wäre das Leben in einem statt von Gott von Xenia Hausner geschaffenen Universum? Unheimlich wäre es, im ursprünglichen Wortsinn. Es wäre ein Leben, dessen man sich nie sicher wäre. Nicht nur die Farben, auch die Geräusche und Gerüche wären von brutaler Intensität. Die Luft stelle ich mir elektrisch aufgeladen vor. Und die Menschen? Diese wären von überwältigender Offenheit und zugleich ganz undurchsichtig. Man verstünde sie, vertrauen aber dürfte man ihnen nicht. Keine ihrer Gesten wäre nur sie selbst, keine ihrer Handlung völlig klar, keine aber auch unbedeutend.
Ich stelle mir vor, daß man sich in dieser Welt immer fühlen würde, als wäre man auf einer Bühne, man blinzelte unablässig in scharfes Scheinwerferlicht und ahnte einen dunklen Saal, mit schweigendem, aufmerksamen Publikum. In Luis Bunuels Film „Der diskrete Charme der Bourgeoise“, der davon handelt, daß eine Gruppe von Leuten sich zu einem Abendessen zu treffen versucht, was jedesmal durch eine Reihe immer absurderer Hindernisse vereitelt wird, gibt es eine Episode, in der die Protagonisten glauben, es endlich geschafft zu haben. Sie setzen sich zu Tisch, die Mahlzeit kann beginnen – aber plötzlich öffnet sich ein Vorhang, und sie bemerken, daß sie in einem Theaterstück sind. Applaus brandet auf. Peinlich berührt, ja auf seltsame Weise ertappt stehen sie auf und verlassen betreten die Bühne.
Christoph Ransmayr
2 Faye*
Die Art, wie sich in ihren Augen ein im Wind geblähtes Segel, das Ufer, die Weite der träge vorüberziehenden Stromlandschaft zu spiegeln schienen, war, als müßte diese Frau nur ihre Augen schließen und alle Spiegelbilder, Dinge und Lebewesen verschwänden… Ja, das war es, das mußte es gewesen sein: als wäre ihr Blick der Ursprung, an den jede perspektivische Linie der sichtbaren Welt zurückführte. Wer solche Augen aufschlug, der konnte damit erschaffen oder zum Verschwinden bringen, was er sah.
Faye hatte ihren Mann aus dem hellen Grün solcher Augen angeblickt und Alister Cox, den berühmtesten Automatenbauer, den England je hervorgebracht hatte, allein durch die Bodenlosigkeit dieses Blicks, in dem die Pigmente der Iris schimmerten wie Einschlüsse in Smaragden, zu ihrem Geliebten, zu ihrem Mann und Vater ihrer einzigen Tochter gemacht. Schlug sie die Augen nieder oder wandte ihren Blick von ihm ab, war er stets in Gefahr gewesen unterzugehen.
Hörig? War Alister Cox seiner Frau hörig gewesen? Faye hatte ihm niemals ihren Willen aufgezwungen und nichts von ihm gewollt, jedenfalls nichts von dem, wonach Cox Nacht für Nacht und den ganzen Tag über und wann immer er mit ihr zusammen war, gierte. Faye hatte nicht gewollt, daß er sie küßte, nicht, daß er sie in seine Arme nahm, und nicht, daß er ihr die Kleider vom Leib zerrte und sie unter sich begrub wie ein Raubtier seine Beute unter sich begräbt. Und sie hatte nicht gewollt, niemals, daß er sich stöhnend auf ihr wand, bis sie, überwältigt von Wut, Schmerz und Ekel, spürte, wie sein Samen sie tief in ihrem Inneren berührte, an ihr Innerstes schlug!, und dann wie ein gestaltloses, wässriges Ungeziefer daraus hervorkroch und ihre Schenkel und das Bettuch besudelte.
Und dennoch hatte sie diesen Mann, der sie quälte und, wie er immer wieder und um Vergebung bittend flüsterte, anbetete, inmitten seiner glitzernden mechanischen Kreaturen bewundert und hatte manchmal sogar etwas empfunden für ihn, wofür sie kein anderes Wort wußte als Liebe.
Aus: Cox oder Der Lauf der Zeit, Roman, S. Fischer, Frankfurt 2016