XENIA HAUSNER
im Gespräch mit Günther Oberhollenzer
Im Rahmen der Ausstellungsvorbereitungen traf Günther Oberhollenzer, Kurator im Essl Museum, am 10. August 2012 die Künstlerin Xenia Hausner zu einem Gespräch. Das Interview fand in Traunkirchen in Oberösterreich statt, wo Hausner in einer eigens dafür angemieteten Halle an dem über acht Meter großen Werk „Im freien Fall“ arbeitete. Neben allgemeinen künstlerischen Fragestellungen und Fragen zur malerischen Technik wurden wesentliche Themen in Hausners Schaffen angesprochen, so etwa die Wahrheit jenseits des Gemalten, die Beziehung von Malerin und Modell und das dramatische Element in ihrer Arbeit.
Günther Oberhollenzer: Beginnen möchte ich mit einer Frage zu Ihren malerischen Anfängen in den 1990er-Jahren: Wie erlebten Sie die ersten Reaktionen, als Sie zu malen begannen? Wie war damals die Stimmung in der Kunstszene gegenüber einer figurativen Malerei?
Xenia Hausner: Ich habe eigentlich gar nicht darüber nachgedacht, sondern einfach zwischen zwei Bühnenbildern begonnen zu malen, als eine Art Ausgleichsübung für die sehr exogen bestimmte Theaterarbeit. Also wirr im Grunde genommen und recht spielerisch. Ich habe zwei Köpfe gemalt und dann gedacht, das ist nichts, ich muss mir das genauer anschauen. Daraufhin habe ich einen Spiegel genommen und völlig naiv meine Hand und mein Gesicht gemalt, so gut ich es damals konnte. Das erste Bild habe ich sofort weggeworfen. Dann habe ich meinen damaligen Mann, seine Kinder und enge Freunde gemalt. Reaktionen konnte es keine geben, weil ich zunächst ein paar Jahre hinter verschlossenen Türen gewerkt habe. Dann gab es einen starken Pendelausschlag, als die Bilder sichtbar wurden. Das war noch vor dem „Coming-out“ der Leipziger Schule, das Figurative war noch nicht so „in“. Es gab Wutschreie und Begeisterung. Das war schon immer so, ich bin irgendwie eine polarisierende Figur.
Rainer Metzer hat in seinem Aufsatz geschrieben: „In ihrem trotzigen Beharren auf Weltzugang ist Figuration bestenfalls zeitlos.“ Das finde ich einen schönen Ansatz. Auf der anderen Seite ist aber Figuration oder auch der Porträttypus, der bei Ihnen vorkommt, als „unzeitgemäß“ verschrien.
Ich bin nicht tagesaktuell, aber seismografisch, und reflektiere meine Zeit. Ich hänge mich nicht an den Abendnachrichten auf, lebe aber sehr bewusst in unserer heutigen Welt. Ich gehe mit einem groben Plan an die Staffelei, aber der verändert sich, weil das Bild eine eigene bestimmende Persönlichkeit ist. Das Bild will dies nicht und will das nicht und sperrt sich, es hat ein Eigenleben. Wenn die Leute mich fragen, ob es nicht sehr eitel ist, sich ein Bild von sich selbst an die Wand zu hängen, sage ich immer: „Das Bild hat doch mit Ihnen gar nichts zu tun!“ Wenn es ein gelungenes Bild ist, dann ist es eine eigenständige Persönlichkeit, wenn es ein schlechtes Bild ist, dann will man es nicht sehen. Nichts macht mich wahnsinniger, als wenn sich Menschen neben ihre Bilder stellen, oft auch Modelle, die sich freuen, in einem mehrfigurigen Bild erkannt zu werden. Ich sag dann immer: „Geht’s weg. Ihr schaut so trivial aus. Das tut euch nicht gut.“
Der realen Person tut es nicht gut, neben dem gemalten Bild zu stehen?
Nein, es tut der realen Person gar nicht gut, weil das Bild eine geschärfte Wahrheit durch die subjektive Brille des Künstlers ist. Im Bild ist ein metaphysisches Paket mit angelegt, das der Dargestellte in dieser Form gar nicht hat. Er ist Stimulans und Objekt der Begierde für den Maler. Mir geht’s um die innere Wahrnehmung einer Person, und die trägt immer auch die Weltsicht des Malers in sich. Es geht um Interpretation und nicht um Bestandsaufnahme. Die Frauen bei Klimt sehen so magisch aus, und dann sieht man in den Katalogen die Fotos dazu, die so gewöhnlich sind im Vergleich zu den Bildern, in denen sie gefiltert durch Klimts Innensicht eine übergeordnete Dimension erhalten. Im Leben waren sie sicher intelligente und attraktive Frauen, aber das ist eben etwas anderes.
Wieland Schmied schreibt in einem Aufsatz, dass Sie mit Ihrer Malerei das „ganze Theater“, das heißt das ganze Leben, erschaffen, inszenieren wollen, und nicht mehr nur die Kulisse. Teilen Sie diese vielleicht etwas pathetische Interpretation?
Find ich gar nicht pathetisch. Er hat’s nur literarisch überspitzt auf den Punkt gebracht. Die Rückschlüsse auf das Bühnenbild werden immer wieder gerne gemacht, um zu erklären, wieso ich Großformate male. Es gibt so viele zeitgenössische Künstler, die großformatig malen, das ist zu kurz gegriffen, aber wahrscheinlich hab ich halt so ein dramatisches Moment in mir! Theater beschäftigt sich mit Menschen und ich auch.
In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass Sie Ihre „eigenen Dramen“ inszenieren.
Ich mal den Stoff, der in mir angelegt ist und der mich umtreibt. Das tut jeder Künstler. Wenn in einem Bild von mir fünf Menschen herumhupfen, versuche ich sie in ihrer inneren Wesentlichkeit zu erkennen, obwohl die Story, in der sie spielen, nicht die ihre ist. Ein klassisches Porträt beschreibt den Menschen in seinem eigenen biografischen Umfeld. Bei mir sind die fünf wie Schauspieler in einem Stück besetzt. Das Stück „schreibe“ ich, und dazu suche ich mir dann die Protagonisten. Sie spielen in fremden Biografien und nicht in ihren eigenen. Ich bin dabei eine Verfechterin der These, dass es keine weibliche und keine männliche Ästhetik gibt, es gibt nur Themen, die in Menschen angelegt sind, und Künstler haben das Privileg, dass sie sie ausdrücken können. Paula Modersohn hat ihren Kinderwunsch thematisiert und viele Selbstporträts gemalt, auf denen sie fiktiv schwanger ist. Hier könnte man sagen: „Schaut! Paula Modersohn malt weiblich!“ Nein. Sie malt stilistisch vielleicht wie der frühe Picasso, aber ihr Thema ist ein weibliches Anliegen. Für Francis Bacon oder David Hockney ist Homosexualität Teil ihres Lebens und daher auch in ihren Bildern bearbeitet. Das sind sozusagen die Dramen, die in jedem angelegt sind. In der Kunst kommen sie raus und werden bearbeitet. Aber Künstler sind nicht nur Autisten, sie leben in ihrer Zeit und haben eine Wahrnehmung der Welt, die ins Werk einfließt.
Wenn man sagt, Sie inszenieren Ihr eigenes Drama, besteht da nicht die Gefahr, dass die Betrachter sich eine Geschichte erwarten, die sie auch lesen können? Die Bilder erscheinen mir mehr wie Bruchstücke einer Geschichte, wie Fragmente.
Ja, es sind Fragmente. Es ist auch gar nicht mein Ziel, eindeutige Lösungen zu präsentieren, sondern eine Präzision im Fragment. In diesen Bruchstücken gibt es eine geschärfte oder herausgefilterte Botschaft, deren Rätsel ich nicht lösen kann. Die Situationen sind nicht eindeutig, aber der Betrachter kann sie trotzdem lesen, weil er davon betroffen ist, er liest das Bild mit seinem eigenen Lebensfundus.
Muss nicht manches auch rätselhaft bleiben, weil gerade das oft die Faszination der Bilder ausmacht?
Ja, ich bleib mir selbst ein Rätsel!
Oft möchten Besucher unseres Museums, dass man ihnen bei Führungen die Bilder erklärt und für sie aufschlüsselt. Doch ich empfinde es gerade schön und faszinierend, dass man in Bildern vieles oft nicht erklären kann.
Erklären Sie die Bilder von Neo Rauch, gehen Sie hin und geben Sie dazu eine Gebrauchsanweisung. Erschreckend. Man muss die Leute auf sich zurückwerfen und sagen, alles ist fein, was euch dazu einfällt. Je mehr das Bild beim Betrachter in Gang setzt, desto besser. Jeder kann seine eigene Geschichte dazu erfinden und ich freu mich.
Wird die bei Ihnen so häufig zitierte Inszenierung manchmal überbewertet?
Genau. Es gibt aber einen Punkt, der auffällig ist: Ich brauche für die Malerei das „live moment“, ich muss auf eine Delle im Fleisch oder auf eine Wölbung im Polster wirklich schauen, dann setzt sich bei mir eine gewisse Triebautomatik in Gang. Ich brauch die gequetschte Haut auf der Windschutzscheibe wirklich und muss den Bergsteiger an Seilen runterhängen lassen (inzwischen mithilfe der Traunkirchner Bergrettung!). Das ist rekonstruktiv oft sehr aufwendig. Aber meine Malerei lebt von diesem fleischlichen Moment, das ich sehe und umsetze. Das gilt nicht für die grundlegende Bildidee, die ist erfunden, aber dann eben sinnlich unterfüttert.
Als Frau Essl und wir Kuratoren Sie 2010 in Ihrem Atelier in Wien besuchten, ist uns besonders in Erinnerung geblieben, mit welchem beeindruckendem Aufwand Sie das Setting für Ihre Malereien vorbereiteten. So sahen wir ein lebensgroßes Auto, das Sie, in der Mitte durchgeschnitten, ins Atelier bringen ließen. Dieses inszenatorische Element ist schon etwas Besonderes.
Ja, bei anderen wäre das schon die fertige Installation! Ich hab eine Werkstätte und brauch Mitarbeiter, die mir das vorbereiten. Im Theater nennt man das eine markierte Dekoration. Auf Proben haben Sie nicht die Endausführung, sondern nur funktionell alles, was der Schauspieler braucht, um die Rolle zu erarbeiten. Ich habe das Auto unter mein Oberlicht gestellt, dann mussten wir es aber wegen einem anderen Bild wieder wegstellen. Also haben wir es auf Rollen gestellt und konnten es so als Ganzes beiseiteschieben. Wir haben also unser System perfektioniert wie auf der Bühne. Ich habe auch jetzt jemanden vom Burgtheater hier gehabt, der ein Korsett vorbeigebracht hat und das Modell angegurtet hat. Jetzt brauchen wir noch einen Bergsteiger, der uns die Seilführung erklärt (für die Arbeit „Im freien Fall“, Anm. d. Red.). Die Beschäftigung mit solchen Details führt dann oft zu einem neuen Bildeinfall, der durch die Präzision der Recherche entsteht.
Man merkt den Bildern an, dass ihnen eine große Vorbereitungsarbeit zugrunde liegt.
Ich brauch das, dieses skorpionhafte Graben. Ich hab gelesen, wie Robert Musil gearbeitet hat, und eine Freundin gefragt, die Astrologin ist, ob Musil vielleicht Skorpion war. Sie hat herausgefunden, dass er ein doppelter Skorpion war. Musil ist immer vor und zurück, hat einen Baustein unten wieder rausgenommen, ist hin und her und letzten Endes daran zugrunde gegangen, weil ihn der Zeitgeist überrollt hat. Aber Zeitgeist hin oder her – „Der Mann ohne Eigenschaften“ ist ein grandioses Buch. Dieses heiß geliebte Wort „Zeitgeist“ ist ja vielfach auch ein Quell künstlerischer Anbiederung.
Wir haben nun über das Setting gesprochen. Wesentlich sind hier natürlich die Modelle. Wie finden Sie Ihre Modelle?
Völlig irrational, und das ist das Schwierige, weil ich oft auf wen anspringe und keiner weiß, warum. Es ist wie sich verlieben. Man versteht nicht, warum sich zwei verlieben, für den Außenstehenden unbegreiflich. Auch der drinnen steckt, weiß es nicht genau. Bei mir ist es genauso. Ich kann es nicht wirklich erklären und will es auch nicht wissen. Oft sagen mir hilfreiche Menschen: „Sag mir, was du brauchst! Sag mir ungefähr, wie die Person aussehen soll.“ Dann sage ich: „Vergiss es, schick mich an einen Ort, wo viele Leute sind, und ich schaue mich um.“ Es gibt keine Beschreibung dafür, nur eine Annäherung wie ein Trüffelschwein. Es hängt nicht mit objektiver Schönheit oder Hässlichkeit zusammen. Ich reise sehr gern und fotografiere viel, aber ich mal ja nicht auf der Straße, sondern rekonstruiere Situationen. In einem Bild kommt zum Beispiel ein Bus vor, den ich in Indien gesehen habe. Dort haben sie gedacht, ich bin eine Spionin, weil ich mich tagelang bei Busstationen und beim Bahnhof in Bombay herumgetrieben habe. Es gibt Bilder, bei denen diese Fotos später mit einfließen. Nachdem ich etwas fotografiert habe, gibt es den Moment der Rekonstruktion im Atelier. Ich war voriges Jahr in China und wurde aufgefordert, Chinesen zu malen. Den chinesischen Menschen finde ich jetzt in Berlin oder in Wien am Naschmarkt und kann ihn mir rekonstruktiv ins Atelier holen, eingebaut in eine Situation, die ich in China fotografiert hab.
Gibt es meistens die Grundidee für eine Geschichte und Sie holen sich die Motive oder sehen Sie die Motive und daraus ergibt sich die Geschichte?
Es gibt beide Wege.
Inwieweit beeinflusst das Modell, wie das Bild schlussendlich aussieht? Wie viel ist von dem Charakter, den Wünschen und dem Denken der Modelle in Ihren Bildern, wie viel sind sie Projektionsfläche für Ihre Erfahrungen und Gefühle?
Es gibt Regisseure wie Bob Wilson, der den Schauspielern vorspielt, wie sie jeden Finger ins Licht halten müssen. Andere Regisseure wie Peter Zadek haben sich hinter kryptischen Andeutungen verschanzt. Beide Male ist was Interessantes rausgekommen. Ich bin nicht so festgefahren und sage meistens: „Stell dich dorthin und probier das mit deiner Körpersprache aus.“ Das ist ein sehr kreatives Kapitel in der Bildentstehung und darauf lass ich mich ein. Ich bin offen für das, was im Zuge einer Annäherung über die Fotografie passiert. Meine Arbeitsfotos sind wie eine Stoffsammlung. Man sieht plötzlich etwas, das man vorher nicht gewusst hat, und denkt sich: „In diese Richtung könnte es laufen.“ Der Gedanke, dass das Modell ein toter Stein ist, nur sitzt und nicht aufs Klo gehen darf, ist absurd. Der Input ist ganz wichtig. Ich habe Texte gelesen, da sagen Modelle, sie sind eine Sklavin, ein Objekt. Das ist ein Blödsinn. Wenn sie erst mal im Bild sind, bin ich abhängig von ihnen wie ein Hunderl.
Also die Modelle verselbstständigen sich zu einem gewissen Teil?
Sie sind viel mächtiger, als sie denken. Ich arbeite oft mit Schauspielern, sie haben schon dieses Spielerisch-Kreative, ich kann mit ihnen was ausprobieren. Ich hab mich im Bild „Liebestod“ mit dem Tod meines Vaters beschäftigt. Er liegt tot auf dem Bett und meine Schwester als Alter Ego sitzt davor. Etliche Herren, die phänotypisch meinem Vater ähnlich sahen, haben sich hingelegt, aber es hat mehr wie dösen ausgesehen. Dann hab ich den Peter Simonischek gefragt. Er hat gesagt: „Ja, ich hab schon ein paar Tote gespielt.“ Er hat sich hingelegt – ich hatte die Situation mit Licht und diesem Ausblick schon vorbereitet – und da fragte er mich: „Willst es so haben oder so? Ich hab ja schon ein paar Tote gespielt.“ Er hat mir dann sein Repertoire an Totendarstellungen angeboten …
Eine unheimliche Vorstellung.
Die Trauerarbeit findet an anderer Stelle statt, aber in dieser Situation im Atelier ist alles chirurgisch. Wenn man eine Nackte malt, ist das auch nicht erotisch. Das ist so erotisch wie beim Gynäkologen, also in der Regel, wenn er nicht entgleist, ist es vollkommen versachlicht und fokussiert auf die Bewältigung des Technischen. Wenn ein Maler einen Akt malt, schaut er, dass er die sinnliche Umsetzung schafft, auch wenn er vielleicht mit dem Modell nachher eine rauschende Liebesnacht hat oder davor eine hatte. Aber im Atelier ist es klinisch. Und so war es mit dem Simonischek und dem Toten. Er war ein total kreativer Partner. Trauern tut man vorher, nachher. So ist es bei Todesszenen, Liebesszenen, Nacktszenen … Es ist eine bürgerliche Mystifikation, zu denken, der Maler steht da im Rausch und geilt sich auf.
Da Sie das schauspielerische Element als sehr wichtig bei vielen ihren Sitzungen erwähnt haben: Wie ist Ihr Ansatz, wenn Sie Porträts von bekannten Persönlichkeiten wie Valie Export malen?
Ich male Großformate und erfinde Geschichten, aber ich beschäftige mich auch mit der Biografie eines Menschen in einem klassischen Porträtsinn, so zum Beispiel im Bildnis von Renate Ankner, das wir im Katalog auch zeigen, da es zum Thema der Vergänglichkeit, des Überlebens oder Nichtüberlebens ein Baustein ist. Sie war sterbenskrank, und ich hab versucht, sie in dieser Situation festzuhalten. Valie Export und ihr Mann sind ein glückliches Paar. Diese Zweisamkeit – sie sind sehr unterschiedlich und doch sehr miteinander verbunden – habe ich versucht herauszuholen. Heinz Fischer habe ich gemalt, als er noch Nationalratspräsident war. Im Hintergrund sieht man das klassizistisch schöne Mauerwerk des Parlaments, in dem er damals der Hausherr war.
Was unterscheidet das Auftragsporträt vom Porträt?
Im Resultat gar nichts, wenn es gut geht. Das Auftragsporträt birgt die Gefahr, dass der Künstler vor den Wünschen des Auftraggebers, der meistens auch das Modell ist, einknickt und anfängt, eine Art von Folgsamkeit oder vorauseilendem Gehorsam an den Tag zu legen. Das Auftragsporträt hat eine schlechte Konnotation, sie beinhaltet, dass irgendwo eine Schwachstelle ist. Das Honorar könnte gefügig oder gefällig machen. Das Auftragsporträt ist wie jedes Porträt. Du darfst halt nicht einknicken, die Hasenscharte muss rein ins Bild. Dafür gibt es in der Kunstgeschichte genug Beispiele.
Ich finde es spannend, wie Sie sich in zwei Facetten der Person nähern: für Ihre eigene Geschichte oder im klassischen Porträtsinn.
Wenn man so will, gibt es zwei Bildertypen, aber ich nähere mich immer auf dieselbe Weise. Ich versuche, eine innere Wesentlichkeit zu verstehen oder zu erwischen. Einmal ist es der Mensch in seiner eigenen Biografie – das würde man klassisch unter „Porträt“ subsumieren –, oder es ist der Mensch in einer erfundenen Konstellation. Aber wenn ich dann an die Umsetzung gehe, ist das egal, ich versuche, hinter die Fassade zu klettern.
Sie haben das einmal als „die Wahrheit jenseits des Gemalten“ bezeichnet. Wir haben schon am Anfang kurz angesprochen, dass Ihnen Wahrhaftigkeit und Authentizität hinter der Oberfläche wichtig sind.
Für diese Wahrhaftigkeit werde ich oft gescholten und belächelt … Ich möchte von einer inneren Wesentlichkeit der Menschen sprechen. Das rauszukitzeln treibt mich um. Es ist eben ein interpretatives Moment und keine Bestandsaufnahme. In der Fotografie, in der Kunstfotografie geht’s ja auch um Interpretation, selbst wenn’s ein Schnappschuss ist.
Und wenn Ihnen das gelingt, kann man dann sagen, das Bild ist schön?
Das Bild oder der Mensch?
Das Bild.
Das Bild soll gut sein, nicht schön.
Ist Schönheit ein Begriff, der in Ihrer Kunst eine Rolle spielt?
Ich weiß nicht. Ich glaube, Schönheit spielt nicht so eine Rolle. Interessante Menschen, Persönlichkeiten ziehen mich an, aber nicht Schönheit im klassischen Sinn.
Sie haben Neo Rauch schon kurz erwähnt. Nach ihm besteht der Grundcharakter des Malens darin, „dass man über eine bestimmte Situation einen Bann ausspricht oder verhängt“. Das heißt, die Malerei bringt eine Situation zur Ruhe und erlangt Macht über die geschilderten Zustände. Die Malerei triumphiere, so Rauch, über den dargestellten Gegenstand, und so könne auch etwas Schreckliches oder Böses zu einem hoch vitalen Stück Malerei werden. Teilen Sie diese Auffassung?
Unbedingt. Zum Schluss gibt’s nur die Wahrheit der Malerei – sie ist stärker als die Wahrheit im Leben!
Es gibt Grundthemen, die immer wieder bei Ihnen vorkommen: Einsamkeit und Liebe – wobei ich das Gefühl habe, dass es weniger um die Liebe geht als um die Sehnsucht danach oder den Verlust davon.
Ja, das sind Themen, die in mir angelegt sind. Aber fragen Sie mich nicht, warum, ich will’s nicht wissen.
Würden Sie Ihre Bilder dann als schwermütig oder gar pessimistisch sehen?
Nein, pessimistisch überhaupt nicht, schwermütig schon eher, aber auch kraftvoll, das hält sich die Waage.
Sie haben das Malen öfter als einen erotischen Vorgang beschrieben.
Also als einen sinnlichen Vorgang. Das Malen hat, wenn man sich wirklich drauf einlässt, mit einem Liebesrausch zu tun.
Liebe und Kampf sind die zwei Extreme, die Ihre Malerei charakterisieren. Ich habe den Eindruck, dass der Malprozess – die intensive Auseinandersetzung von Malerin und Modell einerseits und der Kampf mit dem Material und den Mitteln der Malerei anderseits – bewusst im fertigen Bild noch sichtbar ist, etwa in der expressiven Farbgebung, in den vielen roten, grünen oder blauen Flecken auf der Haut der Porträtierten …
Ja, mich interessiert ein spontanes, ein vitales Moment beim Malen. Da brennen bei mir alle Sicherungen durch. Das sind dann die Stellen, die mich am meisten interessieren, wo in der Malerei selbst eine Wahrheit steckt, die Wahrheit des Machens – das Sich-drauf-Einlassen, da kann man niemanden etwas vormachen.
Es ist aber schon intendiert, dass man dieses Machen auch im Endergebnis noch sehen kann?
Ja, ich hoffe!
Ich meine, dass nicht alles glatt ist, man sich zuerst abkämpft und dann drüberkaschiert wird.
Nein, das eben nicht. Das Machen soll man spüren, Prozesse werden sichtbar. Bei mir ist gar nichts glatt und zu, im Gegenteil, da ist alles relativ offen und belebt.
Gleichzeitig ist Ihre malerische Versiertheit sehr beeindruckend. Auch wenn der Pinselduktus frei und spontan erscheint, habe ich doch das Gefühl, dass die Malerei streng durchkomponiert und genau kalkuliert ist. Jedes Requisit hat seinen Platz, jede Farbe ist bewusst gewählt, kein Detail dem Zufall überlassen. Stimmt dieser Eindruck?
Zuerst überleg ich mir das Bild. Dann behauptet es sich gegen mich und verlangt noch etwas anderes, das ich ihm auch erfülle. Das haut oft alles um. Die Zuwendung in der Malerei ist immer spontan. Letztendlich geht es darum, dass ich mit meinem Pinsel diesen Fahrradbügel oder dieses Gesicht erwische. Ich versuche, mit den Mitteln der Malerei zu verstehen. Hier hat die Spontanität eine ganz wesentliche Rolle, und das kommt rüber.
Sehr auffallend ist die koloristische Brillanz Ihrer Bilder. Es sind sehr kräftige, starke Farben. Wie finden Sie Ihre Farben?
Keine Ahnung. Das ist einfach so. Es ist ungefähr, wie wenn Sie mich fragen: „Wieso hast du blaue Augen?“ Fragen Sie mich etwas Leichteres. Ein Halbdunkel ist ganz wohltuend für die eigene Schaffenskraft. Wenn ich jeden Schritt schon vorher durchrationalisiere, bin ich wahrscheinlich gelähmt. Im Moment des Malens muss es Malen sein, und da möchte ich nicht überlegen, ob ich den zweiten Fuß vor den ersten setze … Es gilt immer: machen, reflektieren, machen, reflektieren – das Spontane möchte ich mir bewahren.
Ist es schwierig, den Moment zu finden, um das Bild loszulassen und zu sagen, jetzt ist es fertig?
Manchmal überhaupt nicht und manchmal schon. Es gibt Bilder, da kämpft man unglaublich. Deswegen ist es aber nicht das bessere Bild oder umgekehrt. Bei manchen Sachen geht es einfach, andere sind sehr widerborstig … es sind wechselvolle Schicksale, die Bilder und ich.
Ein Charakteristikum Ihrer Arbeiten ist die Kombination von Malerei und Fotografie. Die Grenzen scheinen aufgehoben: Fotografische Elemente tauchen in den Malereien auf, gemalte Arbeiten werden fotografiert, Fotos malerisch nachbearbeitet. Die gängige Bezeichnung „Mixed Media“ greift hier zu kurz, oder?
Ja, aber ich hab es mir schon abgewöhnt und die Bezeichnung vielfach rausgestrichen. Historisch gesehen stimmt der Begriff, jetzt vielleicht nicht mehr. Ich hab immer fotografiert als Stoffsammlung. Dann habe ich ein Buch gemacht mit meinen Arbeitsfotos und in ein vergrößertes Foto hineingemalt. Das habe ich weiterverfolgt, und so ist irgendwann die Gratwanderung zwischen Malerei und Fotografie entstanden. Inzwischen bleibt vom Foto nichts mehr übrig. Das Foto setzt im Grunde die Malerei in Gang und wird oft über den Haufen geworfen. „Mixed“ ist nichts mehr, es ist einfach nur noch Malerei.
Würden Sie sagen, die Rolle der Fotografie hat im Vergleich zu den 1990er-Jahren in Ihrem Werk an Bedeutung gewonnen?
Ja, das könnte man sagen, aber Fotografie war immer wichtig. Manchmal spürt man sie mehr, manchmal weniger, aber sie ist immer ein Erkenntnismittel.
Für Ihr Werk ist eine Doppeldeutigkeit und Doppelbödigkeit sehr charakteristisch. Das zeigt sich, etwa wenn ein Bild im Hintergrund eines anderen Bildes auftaucht, so wie hier …
… bei dem Mädchen mit der Geige. Das ist ein Bildausschnitt von „Im freien Fall“, der als Hintergrund wieder auftaucht.
Ähnlich ist es bei „Deux Amours“, wenn hinter den Porträtierten ein Detail aus „Blind Date“ auftaucht.
Ja, das Bild im Bild. Die Kunst als Zitat kommt oft vor. Meine Bilder haben nichts Perspektivisches, im Gegenteil, es ist sogar umgekehrt, das Motiv dahinter ist größer als der reale Mensch davor. Valie Export und ihr Mann sitzen bei mir im Atelier, dahinter steht das Bild und fließt ins Bild ein – ein Bild im Bild. Die darin dargestellten Dinge sind oft überlebensgroß im Vergleich zu den davorsitzenden Menschen.
Die Attribute, die in Ihren Bildern vorkommen, sind wie geheime Chiffren.
Manchmal sind sie entzifferbar, aber wenn sie nicht rational zu erschließen sind, macht es auch nichts.
Dieses Spannungsfeld ist auch im Ausstellungstitel >ÜberLeben< gegeben.
Der Titel ist doppeldeutig – es geht ums Überleben und um das Leben an sich. Es sind bewusst uneindeutige fragmentarische Situationen. Bei „Im freien Fall“ hängt eine Figur oben ins Bild rein, darunter sitzt eine andere, die Trauerarbeit leistet. Man weiß nicht, fällt die Person grad runter und es geht um einen Notfall, oder sehen wir hier den ausgeklügelten Plan eines Angriffs.
Ähnlich ist es auch bei „Pensée sauvage“, in dem ein sehr spannungsreicher Moment zur Ruhe gebracht wird, man nicht weiß, was als Nächstes passiert.
Es ist eine Art Schlachthausszene mit Liebeswunsch. Aber es ist eben nicht eindeutig. Es hängt dieses Schlachtermesser an einem Schlauch und gleichzeitig sind auch die zwei Zahnputzbecher zu sehen. Fragen Sie mich was Leichteres. Ich würde in einer Führung vollkommen versagen. Die Situation bleibt in einem Schwebezustand und ich bin froh drüber. Je doppeldeutiger, umso näher bin ich an der Sache.
Und dieser Schwebezustand wird in der Rotundeninstallation „ÜberLeben“ eigentlich zur Perfektion gebracht.
Hoffentlich! Da holt mich jetzt meine bühnenbildnerische Vergangenheit ein.
Ein Frauenpaar ist zu sehen, das scheinbar friedlich zusammenliegt – eigentlich eine idyllische Szene. Über ihm schwebt aber lebensbedrohlich ein großer scharfkantiger Stein …
… und man weiß nicht, ob der Stein herunterrasseln wird, ob wir eine Momentaufnahme im Flug sehen. Er ist wie ein Fallbeil, wie ein Geschoß, das auf diese Idylle zusteuert. Es ist die Situation einer Bedrohung oder eines Nicht-vorbereitet-Seins auf kommendes Unheil. Ich will das nicht tagesaktuell interpretieren – kann man aber. Wir sehen eine Menschheit, die die Augen verschließt, obwohl metergroße Zeichen vor ihr stehen. Es ist eine scheinbare Idylle, von der man nicht weiß, wie lange es noch so bleiben wird, mit sehr ungewissem Ausgang. Die Welt „verrutscht“. Insofern bildet die Rotunde einen Zusammenhang zu den Bildern: Die Frage ist eben – heute mehr denn je –, wie wir überleben können.
Wie würden Sie Ihre malerische Entwicklung der letzten Jahre beschreiben?
In der Malerei liegt ein Befreiungsschlag und die Art des Malens hat auch etwas mit Befreiung zu tun. Am Anfang, und das ist ja auch ein Entwicklungsprozess, war die Umsetzung feiner. Es ist wie ein Muskelspiel, das man aufbaut. Man muss eine Art Wachsamkeit in Bezug auf sich selbst haben und hoffentlich nicht selbstverliebt enden. Wenn man länger malt, ist auch klar, dass man manches heute anders machen würde und sich fragt: „Hast du an der Stelle nicht geschlampt, dich damals nicht getraut?“, oder: „Hält das stand, was du jetzt machst?“
Sie haben drei Ateliers: in Wien, in Berlin und hier in Traunkirchen.
Ja, schrecklich.
Wo arbeiten Sie am liebsten?
Keine Ahnung! Es ist auf jeden Fall zu viel Erosion, zu viel Reibungsverlust auf der Strecke. Berlin hat eine elektrische Anbindung an die Welt und an die Kunst, da schlägt einem die volle Härte des Lebens gleich entgegen – ein Kontrastprogramm zu Österreich. Wenn ich lang genug auf den Traunstein schau, ist mir Afghanistan egal. Österreich ist eine gefährliche Idylle!
Haben Sie Vorbilder?
Wenn Sie mich nach meinen Lieblingen in der Kunstgeschichte fragen: Beckmann und Rembrandt! Und näher an heute Rothko und Twombly. Die Radikalität und Zufälligkeit in diesem Spannungsverhältnis von Offenlassen und Durcharbeiten, genau darum geht’s in der Kunst.
Wie wichtig ist Ihnen die Bestätigung von Sammlern und Kuratoren, von der Presse und Kunstkritikern?
Jeder Künstler ist empfindlich oder empfänglich, was Zuspruch oder Ablehnung betrifft. Aber man macht das, was man tun muss, und verfolgt wie ein Hund seine Spur. Irgendwann findet man den Knochen.
Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen gehen Sie an dieses Ausstellungsprojekt heran? Wie möchten Sie, dass man als Betrachter Ihre Werke sieht, ihnen begegnet und sie wahrnimmt?
Ich hoffe, dass die beim Figurativen so oft vorkommende anekdotische „Seitenblicke“-Neugier versiegt. Meine Arbeiten sollen eine Diskussion im Betrachter auslösen. Er soll positiv erschüttert sein und vielleicht zu neuen Einsichten gelangen. Kurz gesagt, es soll ihn betreffen und etwas angehen. Wenn die Bilder das leisten, dann ist es gut.
Ich glaube, das ist ein schönes Schlusswort. Herzlichen Dank für das Gespräch.
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